Gott ist in allem, sagen die überzeugten Hindus, auch in der Kreature.
Die Kuh ist die Mutter von Millionen indischen Menschen. Der Mutterkult um
die Kuh geht auf die vedische Ära zurück. Die Wurzel liegt in der
Zeit der Einwanderung der Indoarier, die als Hirtennomaden ins Land kamen.
Zum Alltag der Arier gehörten Opferrituale, bei denen neben der
eigentlichen Opferung heilige Verse rezitiert wurden. Den formalen Ablauf
des Opferrituals bestimmten die Brahmanen-Priester; die Opfergaben, hauptsächlich
geschmolzene Kuhmilchbutter werden von der Bevölkerung dargebracht. Der
Hinduismus räumt diesem nützlichen Haustier eine Sonderstellung
ein. In den alten Schriften wird sie als "Erfüllerin aller Wünsche"
(Kamadhenu) gepriesen. Dies Religion verlangte auch von den Menschen einem
Brahmanen eine Kuh zu schenken (Godan), damit dieser sie anbeten und dadurch
die Götter wohlwollend stimmen konnte. Bei einer Beerdigung der Hindus
ist das Geschenk einer Kuh unabdingbar, um die Erfüllung der Rituale zu
garantieren.
In der Mythologie hat die Kuh ihre Heiligkeit dem Gott Krishna zu
verdanken. Nach seiner Geburt wurde Krishna zum Schutz vor einer drohenden
Ermordung in die Obhut einer Hirtenfamilie gegeben und verbrachte als
Hirtenjunge viel Zeit mit den Tieren. Mit der Hirtenfamilie, den Milchmädchen
(Gopis) und den Kühen wuchs er auf und wurde von ihnen ernährt.
Dadurch erreichte die Kuh den Status einer Mutter, die es zu verehren gilt.
Niemand darf sie behindern, sie wird verehrt, ohne angebetet zu werden, sie
gilt als heilig und darf nicht geschlachtet werden. Wer einer Kuh das Leben
nimmt, hat nach hinduistischem Glauben einen Mord begangen. Die Kuh zu ehren
und zu achten, bis zum letzten Tag zu pflegen und Altersheime einzurichten,
gilt als verdienstvoll für das nächste Leben.
Die Kuh gilt zu Recht als Lebenspenderin, als Symbole der Sanftheit. Sie
gibt für den Menschen fünf heilige Produkte order Gaben;
die 1. Gabe ist das Ghee: Das ist ein Butterschmalz, das nicht nur zur
Zubereitung der Speisen dient, sondern auch eine religiöse Bedeutung
bei sakralen Zeremonien hat. So werden z .B. Tote zur Verbrennung mit Ghee übergossen
oder die Lampen in den unzähligen indischen Tempeln brennen mit Ghee.
die 2. Gabe ist der Mist, der für die Landbevölkerung als
Brennmaterial dient. Mist kann auch als Bindemittel zwischen Lehm und Stroh
zum Hausbau dienen. Mit dem Mist werden ebenfalls die Felder gedüngt,
er wird als Mörtel bei den Lehmhütten verwendet, um Insekten
abzuwehren. Die Nutzung des Dungs zur Gewinnung von Biogas steckt in den Anfängen.
die 3. Gabe ist der Urin: Er hat antiseptische und heilende Wirkung, soll
auch gut gegen Zahnschmerzen und Karies sein. Zudem hat der Urin in Indien
sakrale Bedeutung: z.B. jeder zum Hinduismus Bekehrte wird mit Urin
bespritzt.
die 4. Gabe ist die Milch: Das populärste Getränk Indiens ist der
berühmte Chai, Tee mit Milch oder Milch-Tee, an jeder Straßenecke,
auf kleinen Kochern zubereitet, erhältlich. Dieses Getränk
verbindet die Inder aller Kasten miteinander, da jedermann es trinkt.
die letzte und 5. Gabe ist Lasshi: Lasshi ist ein Joghurt -Getränk
(natürlich auch ein Milchproduckt), das in der vegetarischen Tradition
Indiens eine überaus große Rolle spielt. Während der
indische Chai (Milchtee) normalerweise heiß getrunken wird, ist Lasshi
ein kaltes erfrischendes Getränk bei großer Hitze. Aus diesen fünf
Gaben kann man erkennen, wie wichtig die Kühe für die Inder sind.
Die Kuh gehört heute zum täglichen Straßenbild Indiens. Die
Touristen wundern sich, daß die Tiere inmitten des lärmenden Straßenverkehrs
unbehelligt herumstehen, -laufen und, -liegen können, ja, daß sie
sozusagen den Verkehr durch ihr Dasein geradezu regeln. Sie haben im Verkehr
immer Vorfahrt. Wer ein Tier anfährt, muß mit Bestrafung rechnen.
Trotzdem muß man sich fragen : Sind diese Tiere denn wirklich
herrenlos? Die Antwort lautet: Nein! Sie alle haben einen Besitzer, aber
diese Stadtbewohner, die sich für ihre Tiere kaum noch Futter leisten können.
Hieraus ergibt sich die weitere Frage: "Wovon leben denn dies Tiere?"
Die Kuh frißt die Abfälle der Straße und der Basare. Abfälle
gibt es in Indien mehr als genug. Die städtische Kuh beseitigt durch
Fressen der Abfälle den biologisch noch verwertbaren Zivilisationsmüll.
Viele indische Kühe sind allerdings "trocken", sie geben
keine Milch. Die anderen produzieren höchstens 6 bis 7 Liter täglich.